Siglinde Kallnbach
Stadtmuseum Siegburg, 7.3. - 20.4.2003
von JÜRGEN KISTERS
(Foto1) SIGLINDE KALLNBACH, Wunschspur - Wishingtrack
(Foto2) SIGLINDE KALLNBACH, Wunschspur
- Wishingtrack,
Ausstellungsansichten im Stadtmuseum Siegburg
(Foto3) SIGLINDE KALLNBACH, Wunschspur
- Wishingtrack,
Ausstellungsansichten
im Stadtmuseum Siegburg
Wie war das in der Kindheit, als
man noch fest an das Wünschen glaubte? Und wie kann es gelingen, trotz
unvermeidlicher gegenteiliger Erfahrungen, auch im Erwachsenenalter noch immer
auf das Wünschen zu vertrauen? Dass viele Menschen tatsächlich auf
dieser von Kindesbeinen an betretenen "Wunschspur" bleiben, zeigt
ein gleichnamiges Kunst-Projekt, das Siglinde Kallnbach vor genau vier Jahren
in Gang gebracht hat. Sie hat Menschen aller Art nach ihren Wünschen gefragt,
und herausgekommen ist eine Flut beschriebener und bezeichneter Zettel, Briefe,
Postkarten und Notizbücher, die von so ziemlich allem handeln, was das
Leben gleichermaßen schwierig und lebenswert macht. Einige dieser insgesamt
über 4000 gesammelten Wunsch-Bekundungen aus aller Welt, welche die Künstlerin
zur Jahrtausendwende als 461 Meter lange Spur in einem unterirdischen Fernwärme-Versorgungstunnel
auslegte, waren gerade ein wichtiger Teil in einer Ausstellung im Stadtmuseum
Siegburg, wo Siglinde Kallnbach unter dem Stichwort "Wunschspur" zentrale
Aspekte ihrer künstlerischen Arbeit präsentierte.
Den Schwerpunkt bildeten in den vergangenen zwanzig Jahren vor allem Performances
und Aktionen, in denen Kallnbach in verschiedensten Ritualsituationen ihren
eigenen Körper in die künstlerische Bresche warf, in Auseinandersetzung
mit den Elementen der Erde und als Medium, in das andere Menschen ihre Phantasien
und Wünsche hineinschreiben konnten. Dazu gehörte auch, dass sie auf
ihren Reisen innerhalb und außerhalb Europas mit der Foto- und der Videokamera
immer wieder solchen Kulturphänomenen nachspürte, die über alle
kulturellen Grenzen und Systeme hinweg das Seelische und Körperliche der
Menschen ganz grundsätzlich berühren; indem sie das Menschsein in
ihren elementarsten Erfahrungen (be-)treffen: seiner unauflösbaren Nähe
zum Material der Erde und zur Weite des Universums, der von Angst und Faszination
begleiteten Dimension von Tod und Zerstörung und der unausweichlichen Verstrickung
in die Möglichkeiten und Zwänge der Verwandlung.
So standen dann in der Ausstellung Fotos von Akteuren im Kölner Karneval
ganz selbstverständlich neben Fotos eines Feuerlaufes der japanischen Yamabushi,
eines uralten Reinigungsrituals, Fotos einer japanischen Teezeremonie (von einer
knienden alten Frau in schlichter traditioneller Kleidung) neben Fotos, die
Menschen (im zeitgemäßen Outfit) beim Beobachten einer Sonnenfinsternis
zeigen. Es sind die winzigen, Vergleiche ermöglichenden Details, auf die
es Kallnbach in ihren Fotos speziell ankommt: der demütigen Ruhe in dem
einen Gesicht, dem entrückten Spaß in einem anderen, der Entschlossenheit
in der einen Körperhaltung, der Zurückhaltung in einem anderen. An
solch schlichten, aber grundlegenden Dingen, geprägt von Zusammenhang einer
Kultur, einer Herkunft, drückt sich aus, wie (die) Menschen ihr Leben auffassen,
gelassen oder gierig, in tiefer Sorge oder voller Hoffnung, demütig oder
selbstgefällig-dreist.
Immer wieder ist es Japan, auf das Kallnbach ihren künstlerischen Blick
richtet. Mehrfach hat sie das Land besucht, angezogen von seiner in den Augen
der Westeuropäerin gleichzeitigen kulturellen Fremdheit und Vertrautheit.
Hier in der Gestalt der Geishas auf dem Bahnhof in Kyoto beobachtet, dort im
Erscheinungsbild der Menschen in einer Sushi-Bar im Tokyoer Stadtteil Shibuya
flüchtig registriert. Im Zentrum ihres Interesses liegt ohne Zweifel der
ganz gewöhnliche Alltag, seine banale Grundlage ebenso wie das, was über
ihn hinausführt. Auch Kallnbach jüngstes Großprojekt "a
performancelife", eine Art Fortführung ihrer ersten Wunschspur-Aktion,
war zunächst in Japan angesiedelt. Während sie im Herbst letzten Jahres
im Rahmen eines Stipendiums des Aomori-Zentrums für Moderne Kunst mehrere
Monate dort verbrachte, bestand eine zentrale Aktivität in einer "Aktion
für Gesunde und Kranke zum Thema ‚Solidarität mit Krebskranken'.
Im Mittelpunkt stand das Sammeln von Zeichnungen, Wünschen und Unterschriften
von Menschen an unterschiedlichsten Orten in Japan, die zum großen Teil
auf weißen Arbeitsanzügen verewigt wurden. Mit diesen Anzügen
bewegte sich die Künstlerin selbst als eine lebendige und bewegte Wunschtafel
zwischen den Leuten, indem sie die auf Gesundheit und Überleben bezogenen
Gedanken und Vorstellungen sichtbar vor Augen führte, die in vielen Köpfe
in der Regel versteckt vor sich gehen. Neben einem Dokumentationsvideo sind
die Anzüge in der Siegburger Schau gleichermaßen in der Luft schwebend
inszeniert, ähnlich wie das Wünschen selber eine schwebende Angelegenheit
ist. Solange man wünscht, hält man das Leben in der Schwebe, sogar
dann noch, wenn die Tatsachen des Lebens unumstößlich feststehen
und das eigene Schicksal aufs Äußerste festgezurrt ist. Spannt sich
nicht von dort ein kontinuierliches Band von der naiven Wunschgläubigkeit
der Kindertage bis zum bisweilen utopischen, bisweilen verrückten Potential
der Kunst, mit dem Erwachsene ihren Wünschen immer wieder auf die Sprünge
helfen?
Solange man wünscht, dass die Dinge einen bestimmten Lauf nehmen sollen,
glaubt man an die Offenheit und Beweglichkeit des Lebens. Und solange man wünscht,
dass alles anders werden könnte, gibt es einen Entwurf des Lebens in die
Zukunft. Genau das ist die grundsätzliche Botschaft in der Kunst Siglinde
Kallnbachs, die in der Ausstellung zunächst disparat und fetzenhaft erscheint.
Sehr viel hat sie hineingepackt in das Ausstellungsensemble und nichts darin
ergibt sich auf den ersten Blick. Die Verbindungen zwischen den Bildern, Schriftstücken
und Objekten wollen geduldig hergestellt werden, bevor die ausgelegte Wunschspur
auf die Fährte der eigenen Wünsche führt. Und auch das berührt
durchaus einen grundsätzlichen Charakter des Wünschens: dass die splitterhafte
Fülle der Dinge und Erfahrungen eine einheitliche Gestalt annehmen mögen
und die Komplexität und das Verlangen des Wünschens endlich ihre Erfüllung
finden.
Doch stattdessen ist auch das Wünschen nicht anders als das Leben selbst.
Die Menschen wünschen einmal, dass es anders wird, dann wieder, dass es
so bleibt wie es ist. Das Wünschen wechselt häufig seine Richtung
und seinen Inhalt, manchmal innerhalb von Sekunden. Zugleich gibt es grundlegende,
alles überspannende Wünsche: Gesundheit, Frieden, Glück. Und
so schlängelt sich das Wünschen in kurioser Hartnäckigkeit durch
unsere Existenz wie durch Kallnbachs Kunst, indem es das eigene Handeln selbst
dort (oder gerade dort) stärkt, wo es scheinbar am Ende ist und für
einen Augenblick nicht weiter weiß. Siglinde Kallnbachs Kunst will dabei
vor allem das Vertrauen darin stärken, dass das Wünschen immer hilft.
"Es geht darum, Kräfte der Hoffnung zu mobilisieren und dem Gefühl
der Ohnmacht entgegenzuwirken", sagte sie anlässlich der Performance,
die sie am Ostersonntag im Rahmen der Ausstellung aufführte. Allein durch
die Energie, die das Wünschen freisetzt, können Dinge bewegt werden.
Es geht häufig nicht um die Inhalte des Wünschens, sondern vielmehr
um die Kraft des Wünschens selbst. Denn auch wenn das Ergebnis des Wünschens
verfehlt wird, so hat der Prozesse des Wünschens seine Wirkung getan. Genau
das bestimmt letztlich die paradoxe Erfahrung, die das Wünschen so notwendig
und gleichermaßen so zwiespältig macht. Es führt von der Realität
weg, indem es zur Realität hinführen will. Und genau in diesem Punkt
erscheinen das Wünschen und die Sphäre der Kunst ein und dasselbe
zu sein.
Katalog: Salon Verlag, 48 Seiten,18 Euro
virtueller
Rundgang in der Ausstellung (courtesy Stadtmuseum Siegburg)