Siglinde Kallnbach: Trilogie Kleinsassen 1984/1985/1986

Mitte der achtziger Jahre hat die aus Hessen stammende und heute in Köln lebende Künstlerin Siglinde Kallnbach am Fuße der Milseburg ihre Aktionsreihe „Trilogie Kleinsassen“ durchgeführt:
1984 „Feuertor“

1985 „Verbindungen“

1986 „Feuerwehr/Feuerehr"
Prozeßkunstwerk "Feuertor"
Abbildung aus:
"Vögel und Feuer" - Monografie Sglinde Kallnbach,
in KUNSTFORUM INTERNATIONAL, Bd. 130, 1995
courtesy KUNSTFORUM INTERNATIONAL
/Norbert Ulrich (Fotograf)

Siglinde Kallnbach hatte damals das Haus des verstorbenen Kleinsassener Malers Paul Klüber angemietet und von dort aus die Projektreihe vorbereitet und durchgeführt. Die Einbindung der Künstlerin in das Leben „vor Ort“ mit intensiven Kontakten zu den Nachbarn erwies sich als eine wichtige kommunikative Voraussetzung für die Realisierung der Aktionen – denn nur durch diesen persönlichen Kontakt waren alle Beteiligten zum Mitmachen zu begeistern: Das Technische Hilfswerk mit seiner Mannschaft und seinen Einsatzfahrzeugen, die Freiwillige Feuerwehr, die Musikkapelle, andere Künstler, die Dorfbewohner...

Alle drei Prozesskunstwerke visualisierten Mythisches und Mystisches. Sie rekurrierten auf eine untergründige Magie im überlieferten Volksglauben und auf Märchenhaftes. Das „Feuertor“ lehnte sich an einen alten Schadenszauber an, der nach der Überlieferung seine reinigende Wirkung aber nur dann entfalten konnte, wenn sich die Dorfbewohner an der Errichtung des Tores beteiligten. Daher besuchte die Künstlerin mehrfach alle in Kleinsassen ansässigen Familien, um Gaben für das Feuertor einzusammeln.

Die beiden Dorfältesten zündeten schließlich das mehr als zehn Meter hohe Tor im Rahmen eines feierlichen Zeremoniells an. Anschließend brachte man die Relikte des verbrannten Tores quer durch das Dorf zum Haus der Künstlerin: Drei verkohlte Balken und eine am Feuer entzündete Flamme, die Siglinde Kallnbach in ihrem Herd sieben Tage und Nächte lang lodern ließ, um sie dann „zurückzugeben“. Sie zündete mit der Herdflamme eine Kerze in einer Laterne an, die an einem Seil durch den Schornstein nach oben auf das Dach gezogen wurde, um eine Fackel in Brand zu setzen, deren Feuer Kallnbach dann in die Außenwelt „zurück“spuckte. Eine Feuerwerkschoreografie begleitete diese Abschlussaktion.

Bei der zweiten Aktion lud die Künstlerin Menschen weltweit ein, ihre Gedanken oder „Verbindungen“ zu Kleinsassen in einer frei gewählten Form zu äussern. * Auf diese Weise erfuhr das Dorf eine interaktive Einbettung in einen globalen „Assoziationskokon“. Es kamen mehr als 360 verschiedene Beteiligungen aus 39 Ländern zusammen, darunter auch ein Beitrag des Verpackungskünstlers Christo. Damals gab es noch kein Internet, die Kommunikation erfolgte über persönliche Kontakte und auf dem Postwege, z.T. über vorgefertigte, mit Rückadresse versehene Einladungen, die die Teilnehmer nach ihren Vorstellungen gestalteten. Dazu hatte Kallnbach ein Jahr lang im Dorf Tonaufnahmen gemacht: Feste, Interviews, andere Gespräche im örtlichen Dialekt, Naturgeräusche. Aus diesem Material schuf sie eine Toncollage, welche die Ausstellung der „Verbindungs“-Beiträge akustisch begleitete.

Zur Aktion „Feuerwehr/Feuerehr“ hatte die Künstlerin vorher die Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr im Feuerspucken unterwiesen und sich ihrerseits von den Feuerwehrleuten über Löschtechniken informieren lassen. In einem großen Spektakel führten die Wehrleute ihre neu erlernte Kunst vor. Einer von ihnen entzündete eine riesige Figur aus Pappmaché – die Nachbildung des umgestürzten und zum Berg Milseburg erstarrten Riesen Mils. Die Künstlerin hatte diese Figur vor Ort in Kleinsassen gebaut. Ihre Teile fuhr ein Bauer mit seinem Traktoranhänger als Mitwirkender eines Festzugs zum Aufführungsort.

(zitiert aus: Text zu den Beiträgen von Siglinde Kallnbach in der Ausstellung "Milseburg", Kunststation Kleinsassen 2001)

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* Auch für spätere Projekte von Siglinde Kallnbach war und ist Kommunikation und die Beteiligung vieler Menschen von Bedeutung:
1999 - 2001 "Wunschspur - Wishingtrack"
(siehe dazu auch Katalog zur Ausstellung "Wunschspur - Wishingtrack" (scroll)
sowie Rezension im KUNSTFORUM INTERNATIONAL, 2002
2001 - 2008 "a performancelife"